Rede zum 1. Mai 2024 in Hofstetten-Flüh (SO), Franziska Roth, Ständerätin, SP
Es gilt das gesprochene Wort
Herzlichen Dank für die Einladung. Ich komme immer gerne in diese Region und zu euch.
Genossinnen und Genossen, Arbeiterinnen und Arbeiter
Das Jahr hat 365 Tage. Davon schläfst du täglich 8 Stunden, das sind im Jahr 122 Tage - es bleiben also noch 243 Tage. Täglich hast du acht Stunden frei, das sind ebenfalls 122 Tage - es bleiben noch 121 Tage pro Jahr. 52 arbeitsfreie Sonntage hat das Jahr. Was bleibt übrig? 69 Tage. Du rechnest noch mit? Samstags wird auch nicht gearbeitet, das sind nochmals 52 ganze Tage. Bleiben also noch 17 Tage. Aber: Du hast täglich eine 1/2 Stunde Pause, macht insgesamt 7 Tage. Übrig bleibt ein Rest von 10 Tagen. Das Jahr hat 9 Feiertage, was bleibt übrig? Sage und schreibe 1 TAG! Und das ist der 1. Mai, an dem auch nicht gearbeitet wird.
Ja liebe Anwesende, so eine lächerliche Rechnungsmethodik macht in Bern Schule. Die konservative Mehrheit schlägt in jeder Session und dazwischen zu. Und das mit der grossen Keule! Sie lässt nichts aus, um Arbeiterinnen und Arbeiter auszubremsen. Mietrecht aushöhlen, Möglichkeit schaffen, damit künftig unter dem Vorwand der Homeoffice-Arbeit bis zu 17 Stunden am Tag gearbeitet wird oder Spitzenverdienende, die neu bis zu 800 Millionen Franken Steuersubventionen pro Jahr erhalten sollen. Das ist ein Hohn gegenüber allen, die gerade nicht mehr wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen.
Wir müssen mit Schicksalen, die wir tagtäglich erleben, die Menschen wachrütteln. Ein Mann steht vor der Essensausgabe in Olten. Er ist zum ersten Mal hier. 38-jährig, alleinstehend, Schweizer Bürger und Sozialhilfebezüger: «Ich bin ein starker Raucher. Also spare ich beim Essen und bei Pflegeprodukten. Wenn das Geld nicht für die ganze Woche reicht, dann esse ich manchmal auch gar nichts.»
In der Viertelstunde, in der der Mann Lebensmittel holt, steigt das Vermögen der Familie Blocher um 40’000 Franken. In den letzten zehn Jahren wuchs es von 2,5 auf 15 Milliarden an, weil sich der Wert der Ems-Chemie entsprechend steigerte, sie gehört der Familie Blocher. Und bitte, das ist KEINE Neiddebatte, das ist eine unmissverständliche Kritik an unserem System, welches Reichtum von Individuen schützt, der nicht durch eigene Arbeitsleistung erschafft wurde. Wir wollen ein System, getreu der Bundesverfassung: die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen.
Liebe Anwesende, mit einem einzigen Knopfdruck bedroht man in Bundesbern mit den unsäglichen Mehrheiten Existenzen von vielen Menschen in der Schweiz. Mit einem einzigen Knopfdruck vergoldet man den Reichtum und brüstet sich, das reichste Land der Welt zu sein. Sorry Kolleginnen und Kollegen, diese Rechnung geht nicht auf, aber das weiss man nur, wenn man rechnen kann. Ja, rechnen ist nicht einfach das Vermögen in der Schweiz auf die Einwohnerinnen und Einwohner zu verteilen und sich dann als Sieger zu verkaufen, indem man sagen kann: «Jeder Schweizer hat rein rechnerisch eine halbe Million Franken auf dem Konto, juhuiii wir sind das reichste Land der Welt!» Rechnen bedeutet auf beiden Seiten die gleiche Operation vorzunehmen und würde heissen Nehmen UND geben! Ich habe gelesen, dass durch die Schweizer Banken jährlich 150 Billionen, also 150'000 Milliarden Franken fliessen! 150’000 Milliarden – (steuerfrei!) Das entspricht einer Zahl mit 14 Nullen.
Wäre heute der 1. März würde ich es ja lustig finden und die Fasnachtspolitik der Konservativen für ihre Freunde, die Steueroptimierer, als Büttenrede entlarven. Aber nein, es ist der 1. Mai und die Rechnungen der Kantone und Gemeinden werden abgeschlossen.
Schweizweit klingt es gleich: Der Bund muss sparen. Die Kantone müssen sparen. Die Gemeinden müssen sparen. Doch schauen wir mal genau hin! Wer befiehlt eigentlich, dass in Spitälern weniger Personal mehr Patienten betreut, dass weniger Lehrer grössere Schulklassen unterrichten, dass die Tarife für öffentliche Dienste steigen? Es sind die Leute, die sich ein Privatspital leisten können. Es sind die Leute, die ihre Kinder in Privatschulen schicken. Es sind die Leute, die sich mit einem Chauffeur herumkutschieren lassen und keinen ÖV benutzen. Aber wenn dieser Chauffeur sich erfrecht festzustellen, dass sein Kind weniger Deutschlektionen bekommt, antwortet der edle Herr, der im Tesla hinten rechts sitzt: „Der Staat muss sparen."
Heute stehen wir vereint, am Tag der Arbeit, um für unsere Rechte einzustehen. Während die Löhne stagnieren und die Kosten für das tägliche Leben immer weiter steigen, ist an der Zeit, dass wir wieder mal laut werden und für das kämpfen, was uns zusteht.
Wir fordern höhere Löhne, die dem Wert unserer Arbeit gerecht werden.
Aber das ist nicht alles. Mit der SP-Volksinitiative für bezahlbare Krankenkassenprämien wollen wir die Kostenexplosion bei den Prämien stoppen. Die Prämien werden gedeckelt und dürfen neu nicht mehr als zehn Prozent des verfügbaren Einkommens ausmachen. Helft mit, dass wir im Juni an der Urne dafür eine Mehrheit bekommen. Die steigenden Kosten für Gesundheitsversorgung belasten uns alle schwer. Niemand sollte gezwungen sein, zwischen medizinischer Versorgung und dem täglichen Lebensunterhalt zu wählen. Wir fordern ein Gesundheitssystem, das für alle zugänglich ist und keine finanzielle Hürde darstellt.
Ihr kennt mich, ich bin eine Kämpferin und stehe ein für unsere sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Werte. Und, ich bin eine Realpolitikerin, also brauche ich für gute Lösungen auch Verbündete, respektive Mehrheiten.
Ich bin immer bereit die Hand auszustrecken, aber nur mit dem Ziel mehr Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität zu erreichen.
Wer hätte gedacht, dass wir am 1. Mai 2024 immer noch über einen grässlichen Angriffskrieg in Europa reden müssen? Doch er betrifft unsere Sicherheit und vor allem unseren sozialen Frieden mehr, als die Rechten Politiker:innen meinen. Die Haltung der Schweiz im Ukrainekrieg hat uns in der EU und der UNO übrigens viel Sympathie gekostet.
Ich kann und will nicht zuschauen, wie unschuldige Menschen grundlos attackiert, verletzt und getötet werden, wie ganze Infrastrukturen, Spitäler, Schulen, Kraftwerke zerbombt werden. Und ich will nicht die Hilfe für die Ukraine gegen die Hilfe im globalen Süden ausspielen. Es braucht beides.
Ich stehe nicht nur am 1. Mai auf eurer Seite. Ich vertrete dauernd und mit all meiner Kraft die Interessen der Arbeitnehmer:innen und setze mich auch im Bundeshaus für Menschen ein, die pflegen, die unsere Kinder betreuen und ausbilden, die Waren transportieren, die ihre Hände für unsere Produkte schmutzig machen und ihre Körper bei Schwerarbeit in Hitze, Kälte und Staub belasten.
Es darf in der Schweiz keine Menschen geben, die im ständigen Mangel leben, deren Kinder deswegen miserable Startchancen haben, was sich ihr ganzes Leben lang rächt.
Glaubt mir, Bittsteller:in zu sein für Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen ist mittlerweile auch in der Schweiz ein schwerer Gang. Der Zugang zur finanziellen Unterstützung wird von den engherzigen Konservativen laufend erschwert. Viele Menschen die ein Recht auf EL oder Sozialhilfe hätten, gehen aus Scham nicht aufs Amt. Und andere, die gehen, bleiben beim zweiten Mal fern, weil es so unsäglich kompliziert oder eine grosse Überforderung ist. Sich im Dschungel der Dokumente zurecht zu finden, wird immer mehr zu einem Spiessrutenlauf.
Dabei wäre es so einfach: Wer arbeitet, soll davon leben können, auch mit einer Rente.
Und für Menschen, die nicht arbeiten können, braucht es ein würdiges und faires Auffangnetz.
Oft hört man in der Politik: «Das ist ja schön und gut, aber wir können das nicht bezahlen». Seit einem Jahr wissen wir, wie schnell die Schweiz bereit ist, Volksvermögen in der Höhe von 259 Milliarden Franken bereitzustellen für eine Bank, die seit Jahren von unfähigen Managern geführt wird und deren Chefs sich Millionen-Boni auszahlen liessen.
Wie ist das mit dem Too big to fail-Gesetz? Vor einem Jahr war man sich für einmal einig: So etwas wie die CS dürfe nie wieder passieren. Ein Jahr später ist es vorbei mit der Einigkeit. Was die SVP getan hat, war der Gipfel der Heuchelei. Das gemeinsam vor den Wahlen geforderte: «Keine Schweizer Too big to fail-Banken mehr.» Es soll also keine Bank mehr geben dürfen, die so gross ist, dass der Staat sie nicht untergehen lassen kann. Gilt nicht mehr. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen reichen nicht aus, um den Bankensektor endlich griffig zu regulieren.
Ich weiss nicht, was mich wütender macht, dass wir Banken retten und die Gauner nicht zur Rechenschaft ziehen können oder dass die Politik den Gaunern Geld nachschiebt. Gleichzeitig sagt die konservative Politik, für Frauen, für Kitas, für Rentnerinnen und Rentner, für Mindestlöhne und bezahlbare Krankenkassenprämien habe es kein Geld.
Es ist an uns Gewerkschafter:innen, hinaus zu den Leuten zu gehen. Nicht nur am 1. Mai, sondern an jedem Tag.
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