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Gaza und die Verantwortung der Schweiz

  • Autorenbild: Franziska Roth
    Franziska Roth
  • 12. Sept.
  • 4 Min. Lesezeit
Franziska Roth zu Gaza und die Verantwortung der Schweiz

Die Schweiz vollzieht international eine Übung von wohlmeinender Rhetorik nach der anderen. Versteckt hinter einer Neutralitätspolitik aus dem letzten Jahrtausend und einer planlosen Aufrüstungspolitik fallen im Parlament Entscheide, die im Gazastreifen Leben kosten.


Die Begründungen des Bundesrats sind stets dieselben: Man prüfe sorgfältig, ob neue Sanktionen der EU übernommen werden, und entscheide dann nach aussenpolitischen, aussenwirtschaftlichen und rechtlichen Überlegungen. Bisher hat er jedoch keine thematischen Sanktionen übernommen. Eine weitergehende Kennzeichnungspflicht für Produkte aus den Siedlungen ist ebenfalls nicht vorgesehen.


Damit manifestiert sich eine Haltung, die einem erlaubt wegzuschauen: Man ist zu nichts gezwungen, man bleibt unbeteiligt. Man bleibt immun gegenüber den grässlichen Bildern unserer Zeit, gegenüber dem Leid, den Ungerechtigkeiten und den offensichtlichen Widersprüchen.


Ja, der Bundesrat unterstützt formell eine Zweistaatenlösung. Doch die naive Idee „zuerst Frieden und dann eine Lösung“ funktioniert nicht. Frankreich, Grossbritannien, Kanada – und nun auch Belgien – zeigen Haltung und handeln. Immer mehr Länder treten in der UNO-Vollversammlung dafür ein, Palästina als Staat anzuerkennen.

Vielleicht kann man sagen, dies sei zunächst ein symbolischer Akt. Doch es ist ein Akt mit Gewicht. Sollte Frankreich und Grossbritannien ihre Ankündigungen umsetzen, dann erkennen vier von fünf ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats Palästina an – eine qualitative Veränderung. Eine Anerkennung würde jene Kräfte stärken, die sich seit Jahrzehnten für eine Verhandlungslösung einsetzen: die gemässigten Vertreterinnen und Vertreter der Autonomiebehörde.


Mehrere Nahost-Experten weisen zudem darauf hin, dass es leider im Interesse des israelischen Premierministers Netanjahu liegt, die Hamas im Gazastreifen am Leben zu halten. Er selbst hat gesagt, man müsse die Geldtransfers aus Katar an die Hamas ermöglichen, damit die Palästinenser gespalten bleiben – und eine Zweistaatenlösung verhindert wird. Netanjahu trägt damit eine Mitverantwortung dafür, dass die Hamas an der Macht blieb.


Wenn man der Hamas den Zulauf entziehen will, muss man der palästinensischen Bevölkerung eine echte politische Perspektive geben. Doch die Siedlungen schränken die Bewegungsfreiheit massiv ein. Der Nahostforscher Busse hat erst vor zwei Wochen klargestellt: Ein geplanter Siedlungsblock östlich von Jerusalem würde das Westjordanland in der Mitte durchschneiden. Damit schafft die israelische Regierung Fakten.


Die Siedlungspolitik ist völkerrechtswidrig. Wenn die Schweiz als Friedensvermittlerin hier keine Haltung zeigt, normalisiert und legalisiert sie genau das, was wir eigentlich verhindern wollten: Dass Rechtsbruch zum Mittel wird, dass internationale Regeln ignoriert und dafür sogar Belohnungen verteilt werden. Putin, Netanjahu, Trump – sie alle zeigen, dass man Völkerrecht und Menschenrechte beliebig dehnen oder verletzen kann und damit durchkommt.


Wir sollten deshalb nicht auf jene hören, die den Krieg anheizen, sondern mit jenen zusammenarbeiten, die in Israel und Palästina trotz allem unermüdlich für ein Ende der Gewalt und für Dialog eintreten. Denn: Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.

 

Meine Voten im Ständerat vom 9. September 2025

Am 9. September 2025 durfte ich eine Klasse im Bundeshaus begrüssen. Die Jugendlichen fragten mich, wie ich als Politikerin mit der Situation in Gaza umgehe. Eine sehr gute und berührende Frage.


Ich habe darauf im Rat gesagt:

„Die Standesinitiative Genf liegt mir besonders am Herzen – als Ständerätin, als Heilpädagogin, als Frau. Es liegt mir am Herzen, dass hier im Bundeshaus die vielen Stimmen von Expertinnen, von Jüdinnen und Juden, von Palästinenserinnen und Palästinensern in der Schweiz, in Israel und weltweit vertreten sind. Stimmen, die sich für das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes und für einen gerechten und dauerhaften Frieden für Israel und Palästina engagieren. Nur so kann ich mir am Abend im Spiegel die Frage stellen, ob ich für das Völkerrecht und die Menschenrechte meine Arbeit richtig gemacht habe – und sie mit Ja beantworten.“


Palästinas Anerkennung ist für unser Land richtig und logisch, nicht nur wegen unserer bündnisfreien Aussenpolitik. Die Schweiz hat seit langem Beziehungen zur palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die Palästina bei der UNO vertritt. Trotz Schwächen ist die PA heute mehr denn je der Partner, den wir unterstützen müssen. Sie gegenüber der Hamas zu stärken, gibt der Bevölkerung eine Perspektive.


Die Schweiz hat immer die Zweistaatenlösung unterstützt. Wir haben Israel anerkannt, also sollten wir endlich auch Palästina anerkennen.


Ja, die Aussenpolitik liegt in der Zuständigkeit des Bundesrats. Aber das Parlament hat gemäss Artikel 166 der Verfassung die Pflicht, an der Gestaltung der Aussenpolitik mitzuwirken. Deshalb habe ich im Rat gefordert, dass die Schweiz Palästina nicht nur formell, sondern offiziell anerkennt.


Besonders bewegt hat mich die Botschaft des Jüdischen Forums Schweiz, die wir am selben Tag erhielten:

„Als jüdische Menschen in der Schweiz liegt uns Israel und seine Zukunft sehr am Herzen. Gerade deswegen unterstützen wir die Bestrebungen zur Anerkennung Palästinas durch die Schweiz und andere europäische Staaten. Eine offizielle Anerkennung Palästinas durch die Schweiz wäre ein dringend nötiger Impuls zur Stärkung der moderaten, lösungsorientierten Kräfte auf beiden Seiten. Sie wäre auch ein klares Signal gegen extremistische Akteure – gegen die Terrororganisation Hamas ebenso wie gegen rechtsradikale Siedlergruppen.“

 

Verantwortung übernehmen

Ich bin immer noch erschüttert vom Terrorangriff des 7. Oktober 2023, vom Schicksal der israelischen Geiseln und von den unzähligen Opfern des Krieges. Doch gerade das darf uns nicht vom Handeln abhalten.


Wir waren eines der ersten Länder, die den Kosovo anerkannten. Wenn wir es ernst meinen mit unserer Verfassung und mit unseren guten Diensten, dann müssen wir zwei Konfliktparteien auch auf gleicher Augenhöhe behandeln. Das geht nur, wenn wir Palästina endlich als vollwertigen Staat anerkennen – so wie es die meisten unserer Partner in der EU und UNO längst tun.


Alles andere bleibt ein Lippenbekenntnis. Was wir brauchen, ist ein Lebensbekenntnis – zur Verteidigung des Völkerrechts und zu einem gerechten und dauerhaften Frieden.

 

Lesen oder schauen Sie meine beiden Voten:

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